SEIT WANN MACHT ES UNS NERVÖS, WENN EINFACH MAL NICHTS PASSIERT?
- Anja

- 18. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Diese Frage hätte ich früher selbst kaum beantworten können.
Nicht, weil ich so bewusst oder reflektiert unterwegs war – ganz im Gegenteil.
Es war eher ein Zufall - ein offener Abend (von denen es ehrlich gesagt nicht viele gab) – vielleicht auch einfach der Versuch, mal kurz durchzuatmen, ohne zu wissen, wie das eigentlich geht.
Achtsamkeit war damals kein Teil meines Alltags. Ich habe viel gemacht, wenig gespürt, kaum wirklich zugehört – weder mir selbst noch dem, was das Leben eigentlich sagen wollte.
Und dann lag ich da. In dieser stillen Form von Yoga. Und konnte nicht mehr ausweichen.
Ich weiß noch, wie ich in meiner ersten Stunde lag – völlig irritiert davon, dass einfach nichts passierte. Kein fließender Wechsel mit dem Atem, fast keine Musik. Nur Dehnung. Halten. Spüren.
Und dieses Unbehagen, das sich zeigt, wenn man dem eigenen Inneren nicht mehr davonlaufen kann. Ich hätte aufspringen können – aber ich war viel zu feige dazu.
Nicht, weil ich bewusst bleiben wollte, sondern weil ich gar nicht wusste, wie ich für mich hätte einstehen sollen.
Ich konnte nicht gut „nein“ sagen – nicht zu anderen und schon gar nicht zu mir selbst.
Also blieb ich einfach liegen.
Ich bin geblieben, obwohl alles in mir danach schrie, zu gehen. Und genau da hat es begonnen.
Heute weiß ich, warum mich Yin Yoga so in den Bann gezogen hat.
Aber am Anfang war es vor allem eines: seltsam. Diese Stille. Diese Langsamkeit. Dieses scheinbare Nichts.
Ich lag da und wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Der Körper war still – der Kopf laut. Ungeduldig. Es war nicht angenehm. Kein bisschen. Zum ersten Mal konnte ich nicht ausweichen. Nicht mal mir selbst.
Und doch… je öfter ich hinging, desto mehr wollte ich genau dieses Gefühl wieder spüren. Es hatte für mich damals seltsame Tiefe. Eine Tiefe, die mir im Alltag fehlte.
Yin Yoga zwingt dich zu nichts – und gerade das ist das Herausfordernde daran.
Es lässt dich mit dir selbst allein, ohne Ablenkung, ohne Ziel. Und wenn du dich darauf einlässt, beginnt sich etwas in dir zu lösen – ganz langsam und leise.
Ich habe gelernt, dass man enttäuscht ist, wenn man da reingeht mit dem Gedanken:
„So, jetzt entspanne ich mich mal ordentlich.“
Denn so funktioniert es nicht.
Yin lässt sich nicht erzwingen.
Sie reagiert nicht auf Leistung oder Kontrolle.
Je mehr du willst, desto weniger geschieht. Entspannung ist kein Produkt, das du einfach in den Warenkorb legen kannst. Kein „Jetzt bestellen, morgen fühlen“.
Sie kommt nicht, weil du sie willst – sondern weil du aufhörst, etwas damit erreichen zu wollen.
Vielleicht hatte es auch mit meinem Alter zu tun. Nicht im Sinne von „jetzt bin ich zu alt für Powerflow“ – das trifft es nicht. Aber ich glaube, da war diese immer stärker werdende Sehnsucht, den Lärm mal auszuschalten. Nicht ständig etwas darstellen zu müssen. Nicht mehr funktionieren, performen, sich beweisen – und schon gar nicht auf der Matte.
Ich wollte einfach wieder spüren, wer ich eigentlich bin.
Und das Schöne war – im (Yin) Yoga, braucht es kein Publikum. Niemand schaut zu, niemand bewertet. Ich selbst musste keine Rolle mehr aus dem Regal kramen, um irgendwie richtig zu sein. Ich durfte einfach da sein. So, wie ich bin. Vielleicht ein bisschen müde, vielleicht gespannt, vielleicht weich. Und das war genug.
Dass ich heute selbst Yin Yoga unterrichte, hätte mein früheres Ich vermutlich irritiert – vielleicht sogar überfordert. Zu ruhig. Zu wenig sichtbar. Zu nah dran. Ich war lange nicht bereit für diese Form der Begegnung – schon gar nicht mit mir selbst. Und trotzdem:
Es hat mich nicht mehr losgelassen. Nicht, weil ich etwas erkannt oder verstanden hätte – ich war einfach irgendwann still genug, um es nicht mehr zu überhören.
Je mehr ich mich eingelassen habe, desto klarer wurde mir, wie sehr genau diese Praxis etwas in mir berührt, das lange keinen Platz hatte.
Kein Ziel. Kein Müssen. Kein Applaus.
Nur Raum – für das, was sonst oft zu leise bleibt. Heute halte ich diesen Raum für andere. Ich leite keine Sequenz an – ich begleite durch Stille. Durch Dehnen. Durch Spüren. Und vielleicht auch durch das Aushalten. So, wie ich es selbst gelernt habe. Nicht plötzlich. Sondern über Zeit. Über Wiederholung. Über Vertrauen.
Und manchmal, wenn mir Menschen sagen, dass Yin Yoga ihnen zu langweilig sei, muss ich schmunzeln – ich erkenne mich wieder. Ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn man sich ständig ablenken will. Ich weiß, wie fremd sich Langsamkeit anfühlen kann, wenn man sie verlernt hat. Und ich weiß auch, dass viele von denen, die heute noch „nichts damit anfangen können“, ein paar Jahre später doch ihren Weg in die Stille finden.
Ganz ohne Druck. Einfach, weil irgendwann die Stille lauter wird als der Lärm.
Ich unterrichte Yin Yoga nicht, um Antworten zu geben.
Ich unterrichte, weil ich weiß, wie gut es tut, wenn einem niemand mehr welche abverlangt.
Und du? Wann bleibst du das nächste Mal einfach liegen – nur mit dir – ganz ohne dass etwas passieren muss.
VON ANJA FELD


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